Die Autoren Roger Dannenhauer, Torsten J. Koerting und Michael Merkwitza gehen ganz neue Wege, ein Buch zu realisieren: Sie entwickeln Inhalt und Gestaltung gemeinsam mit einer Community, die sich online und in mehreren Impuls-Workshops austauscht, und stellen die Inhalte immer wieder auf den Prüfstand. Was bedeutet das für deine kreative Arbeit im Projekt? Welche Impulse konntest du schon für die Arbeit an Layout und Branding mitnehmen?
Bei diesem Projekt ist für mich ein ganz entscheidender Faktor, dass ich mit drei Autoren arbeite, die ganz unterschiedliche Charaktere haben und deshalb auch ganz unterschiedlichen Input einbringen. Es ist eine sehr große Herausforderung, das alles unter einen Hut zu bringen.Was sehr hilfreich und entscheidend ist: In der Community sammelt sich eine sehr fokussierte Zielgruppe. Und was kann mir Besseres passieren, als dass ich die zukünftigen Leser direkt befragen kann und unmittelbares Feedback bekomme?
Sehr schön war zum Beispiel, wie sich der Project Canvas im Methoden-Workshop entwickelt hat – und am Ende war es kein Project Canvas mehr, sondern der Project Square. Plötzlich war da ein Quadrat! Das Quadrat bestimmt jetzt das gesamte Branding – und wird sich als zentrales Gestaltungselement durch das ganze Projekt ziehen.
Ich bin gespannt, wie sich das weiterentwickelt.
Du hast ja kürzlich zusammen mit Torsten J. Koerting auf der NEXT Service Design Konferenz in Berlin über das Buchprojekt referiert. Was macht das Buch zum Service-Design-Produkt?
Erstens: In unserem TurnAround-Buchprojekt steht der Mensch im Zentrum und die Inhalte entstehen in kreativer Zusammenarbeit. Das sind zwei Prinzipien von Service Design (user-centered, co-creative), wie sie zum Beispiel in dem Buch This is Service Design Thinking von Jakob Schneider & Marc Stickdorn beschrieben werden. Für meine Arbeit heißt das konkret: Ich schlüpfe in die Schuhe meiner Zielgruppe (step into the shoes of your customer) und versuche, mit deren Augen zu sehen, deren Sprache zu verstehen, deren Ziele und Wünsche zu erkennen.
Und der von uns gewählte Prozess, die Zielgruppe in unserer Community direkt einzubinden, erhöht auch deren Engagement und Loyalität. Sie fühlt sich eingebunden, ernst genommen und hat die Möglichkeit, bei den Inhalten und der Gestaltung mitzuwirken – und am Ende auch im Buch als Co-Autoren mit Namen und Foto präsent zu sein. Das erhöht die Bindung und das Verantwortungsbewusstsein enorm, aber auch die Freude und die Motivation, mitzumachen!
Zweitens: Die Methoden und Tools, die wir anwenden, sind klassische Service Design-Tools – zum Beispiel die Empathy Maps: In unserem ersten Impuls-Workshop haben wir in Kleingruppen drei Empathy Maps erarbeitet. Wir haben uns in drei Stakeholder-Charaktere (Projektmanager im Projekt, Projektmanager im Buchumfeld, Berufsorientierer) hineinversetzt und aus deren Perspektive betrachtet, was sie denken, sehen, hören, sagen, fühlen – und außerdem, was deren Pains und Gains sind. Das Ergebnis war eine strategische Analyse der Wünsche und Bedürfnisse der Zielgruppe, mit dem Zweck, das Produkt zu verbessern – in unserem Fall die Inhalte und die optische Aufbereitung des Buchs.
Auch unsere Ideenfindung ist ein Service Design-Instrument: In unseren Impuls-Workshops werden die Ideen und Inputs auf statisch aufgeladene Moderationskarten (Stattys) gescribbelt, auf große Sheets oder an die Wand geheftet und anschließend gemeinsam diskutiert. Die Stattys lassen sich leicht hin- und herschieben, so dass Ideen fließen und Gedanken neu sortiert werden können. Und die Ideen sind im ganzen Workshop visuell präsent.
Storytelling und Personas: Teil des Buches wird ein Projektmanagement-Roman sein. Die Geschichte wird aus der Perspektive der unterschiedlichen Projektbeteiligten zeigen, wie ein konkretes TurnAround-Projekt wieder auf Spur gebracht werden kann. In den unterschiedlichen Protagonisten werden sich die verschiedenen Zielgruppen des Buches wiederfinden.
Service Blueprints: Unser Project Square ist ein konkretes „lebendes“ Dokument, das sich in Kollaboration vom ersten Draft im Impuls-Workshop im Juli bis zum derzeitigen Stand stetig entwickelt hat – und immer weiter verbessert und verfeinert wird. Wichtig dafür sind vor allem die Praxis-Tests beim Kunden.
Video-/Audio-Dokumentation: Während des ersten Impuls-Workshops wurden alle Diskussionen, Präsentationen und kreativen Prozesse fortlaufend auf Audio und Video festgehalten. Das ist immens wichtig für spätere Reviews und Analysen. Auch die weiteren Workshops und andere Veranstaltungen werden, wenn es möglich ist, visuell dokumentiert.
Iterative Methodik: Unsere Inhalte, der Project Square, unsere Prozesse werden fortlaufend adaptiert, getestet, geprüft, hinterfragt, verbessert …– alles in allem haben wir da ein sehr innovatives Service Design-Projekt!
Was bewirkt dein Layout bei der Rezeption der Inhalte?
Beim Design geht es darum, einer Idee eine sichtbare Gestalt zu verleihen. Nehmen wir als konkretes Beispiel Roger Dannenhauer, unseren Transformation Coach: Die betreffenden Seiten im Buch werden genau das ausstrahlen, was er inhaltlich vertritt – Konzentration und Ruhe. Diese Inhalte werden in unserem Buch die visuellen Ruhepunkte bilden. So spiegelt sich der Inhalt, die Idee im Layout wider – und ermöglicht eine neue Qualität der Rezeption der Inhalte.
Generell ist es natürlich immer Aufgabe der Gestaltung, den Inhalt dem jeweiligen Rezeptor entsprechend aufzubereiten. Design sollte dazu beitragen, dass ein Inhalt leichter zu erfassen ist. Dazu braucht es Konzept und Strategie, aber auch Leidenschaft und Intuition – und vor allem die Fähigkeit, sich in die Zielgruppe hineinzuversetzen.
Du kommst ja ursprünglich aus dem Modedesign – gibt es eigentlich gestalterisch Parallelen zum Buchlayout? Welche Rolle spielt das Medium, für das du designst, im kreativen Prozess?
Mir war sehr früh klar, dass ich selbstständig werden will. Ich habe erst eine wirtschaftliche Ausbildung gemacht, dann habe ich mich dem „Human Packaging“ gewidmet. Beim Modedesign ist der Inhalt die Person selbst, die man verpackt, deren Persönlichkeit man zum Ausdruck bringt. Deshalb sehe ich tatsächlich Parallelen zu jeder Form der Gestaltung. Für mich ist es ein Vorteil, dass mich so viele Design-Fachrichtungen interessieren – Identity, Editorial, Web, Packaging etc. Beim Branding sind alle Medien wichtig, und der Wiedererkennungseffekt ist ganz entscheidend für den Erfolg, damit die Leute wissen: Ah ja, das ist dieses oder jenes Produkt/Service, das gehört hier dazu.
Bei unserem TurnAround-Projekt steht der Schriftzug „Turn/Around“ in der Farbgebung Rot/Grün und dem umgedrehten A im Zentrum, wie eine Umbrella Brand. Die Subbrands „Turn/Around PM“ für unsere Buch-Website, „Turn/Around HUB“ für unsere Community und „Turn/Around THINK TANK“ für das Unternehmen bilden unsere Brand-Architektur. Und unsere zentralen Gestaltungselemente finden sich im Project Square und auf allen Social-Media-Kanälen wieder. Und natürlich im Buchlayout:).
Über Inge Vorraber
Inge Vorraber macht die Welt schöner. Die mehrfach ausgezeichnete Designerin lebt in Wien und gestaltet seit 1999 alles, was Marken unverwechselbar und Kommunikation erfolgreich macht: Neben Identity Design und Branding zählen Packaging, Magazin-, Buch- und Web-Design zu ihren Paradedisziplinen. Als Art Director der preisgekrönten Web-Agentur holzhuber|impaction betreute sie von 2001 bis 2007 Österreichs Top 50 Unternehmen und kreierte außergewöhnliche User Experiences, Webdesigns und Kampagnen. Heute ist sie als Freelance Art Director erfolgreich. Für den Business-Bestseller „E-Mail macht dumm, krank und arm“ von Anitra Eggler entwickelte sie das inspirierende Layout. Internationale Brands und aufstrebende Start-ups vertrauen ihrer Kreativität und Leidenschaft für herausragendes Design. Portfolio: www.ingol.at
Die Präsentation auf der NEXT Service Design: