Bernd Linder-Hofmann wurde von Roger Dannenhauer auf unser Buchprojekt aufmerksam gemacht. Die beiden sind Schüler des Daishin Zen und haben den gleichen europäischen Zen-Meister Hinnerk Polenski (jap. SyobuSensei). Bernd hat an einigen unserer Workshops teilgenommen und vor allem Rogers außergewöhnliche Perspektive auf TurnAround-Projekte um interessante Facetten ergänzt.
Bernd Linder-Hofmann begann seinen beruflichen Weg mit der Offizierslaufbahn in der Bundeswehr. Nach 12 Jahren als „Staatsbürger in Uniform“ mit einem integrierten Studium der BWL folgten verschiedene Stationen in internationalen Konzernen mit den Themen Personal-, Organisations- und Führungskräfteentwicklung, schließlich als Change- und Projektmanager. Zunehmend begab er sich auf die Suche „nach dem Unbegreiflichen“, wie er sagt, „nach dem, was hinter dem Offensichtlichen der Techniken, der Methoden und der Tools steckt und zunächst für unser Auge unsichtbar ist“.
Ein Zugang auf diesem Weg wurde – über Höhen und vor allem durch Tiefen und persönliche Krisen – die Mystik und der Buddhismus: Letzterer in der Form des japanischen Zen-Buddhismus, und hier vor allem der europäische Weg des Daishin Zen, der Weg des „Herz-Geistes“, in der Theorie, in der Lektüre, aber vor allem in der jahrelangen Praxis der Meditation.
Aus diesen Erfahrungen und der gelebten Verbindung westlicher Wissenschaft und östlicher Spiritualität entstand für Bernd Linder-Hoffmann ein sehr persönlicher Weg, in dem Privates und Berufliches im täglichen Sein verbunden sind. Die Erfahrungen aus diesem Weg gibt Bernd heute weiter – als Vater, als Ehemann, als Sohn, als Freund, als Kooperationspartner, als Berater, Coach und Trainer, als Leiter von Ausbildungen, als Lehrbeauftragter und Tutor an Fachhochschulen, als Dharma-Schüler des Daishin Zen, als Autor von Büchern und Artikeln in Fachzeitschriften – aber das ist nur die „äußere Form“, wie er selbst sagt.
In der „inneren Form“ geht es ihm um die Geisteshaltung, um Bewusstsein, um Wahrnehmungs- und Reflexionsfähigkeit. Er sieht das heute als das vornehmliche Feld, in dem wir im westlichen Kulturkreis arbeiten sollten und in dem weitere Entwicklungen dringend notwendig sind, und genau dieses Feld ist heute sein Betätigungsgebiet, seine Passion, seine missionarische Leidenschaft.
Das Thema Geistes-Haltung ist ja ein sehr entscheidendes in unserem Buch. Was bedeutet Geistes-Haltung aus deiner Sicht?
Meine Sicht ist aus einem buddhistischen Verständnis geprägt: Der Zustand des „Jedermann-Bewusstseins“, gerade im westlichen Denken, basiert auf einem Dualismus von Subjekt und Objekt, auf einem Getrenntsein des Menschen von der Welt. Es gründet auf dem Glauben an ein stabiles und definiertes Ich als isoliertes Subjekt, dem die Welt als Objekt gegenübersteht. Dieses Getrenntsein ist eine Konvention, eine Illusion: Wir sind mit allem verbunden, und alle Dinge entstehen bedingt und in Anhängigkeit voneinander. Dies nicht so leicht erkennen zu können, liegt an den drei „Wurzeln des Unheilsamen“ – nämlich dem Begehren: etwas zu wollen, was ich nicht habe, der Ablehnung: etwas nicht zu wollen, was mich umgibt und was ich habe, und der Verblendung: nämlich das alles nicht zu durchschauen.
Dieser Zustand des Bewusstseins bedingt, dass wir die Welt immer nur beschränkt und wie durch einen Schleier sehen. Oder, um es mit Platons Höhlengleichnis zu sagen: Wir sehen nur die Schatten der Wirklichkeit. Platon beschreibt in diesem Gleichnis Menschen, die in einer dunklen Höhle so angebunden sind, dass sie nur auf eine gegenüberliegende Felswand schauen können. Hinter ihnen geht ein mit Fackeln beleuchteter Weg vorbei, auf dem Menschen gehen und Gegenstände mit sich führen. Sie sehen aber diese Menschen und die Gegenstände nicht direkt, sondern nur deren Schattenbilder auf der für sie sichtbaren Felswand, und sie hören durch die Akustik der Höhle gebrochene Wortfetzen. Das, was sie dergestalt sehen und hören, ist ihre Wirklichkeit, über die sie sich auch austauschen. Aber wie gesagt: Sie sehen nur die Schatten der Wirklichkeit und halten diese für real und sogar für wahr. Wir gehen im buddhistischen Verständnis davon aus, dass es uns in der Verblendung genauso ergeht: Wir halten das, was wir sehen und wahrnehmen, für die Realität: Genau so ist es! Wir sind so sozialisiert: Diejenigen, die uns lehren und anleiten, erkennen es auch nicht anders, jedenfalls die meisten.
Wenn ich nun bereit bin, mich auf einen Weg einzulassen und Vorstellungen und vertraute Konzepte loszulassen, habe ich die Chance, zu Einsichten und Erkenntnissen zu kommen, die diesen Zustand des Bewusstseins verändern. Es muss nicht immer eine persönliche Krise sein, die mich dazu bringt, anzuhalten, innezuhalten – ich kann nur sagen, dass es bei mir so war. Dieses Erkennen führt mehr und mehr dazu, die Welt mit anderen Augen zu sehen, das Getrenntsein als Illusion zu erleben, das abhängige und bedingte Entstehen aller Dinge zu begreifen und unsere tiefe Verbundenheit mit dem Ursprung zu erfahren. Ab da hat sich alles verändert: Die Welt ist wirklich eine andere geworden und ich werde mich bemühen, das Heilsame in die Welt zu bringen. Heilsam soll heißen mit einer konstruktiven Geisteshaltung: mit Achtsamkeit, Offenheit, Freude, Empathie, Güte und Gelassenheit.
Wie kann man am Bewusstsein, an der Geisteshaltung arbeiten?
Um zwei Dinge vorwegzunehmen: Es geht nicht von jetzt auf gleich (jedenfalls meistens nicht) und es reicht nicht, ein Buch zu lesen oder sonst einen Ratgeber wie „Die richtige Geisteshaltung in 5 Minuten“. Es ist ein Weg, ein sehr persönlicher Weg, der sich uns nicht in unserer gewohnten kognitiven Herangehensweise erschließt. Dieser Weg beinhaltet Erfahrungen, die ich machen kann, in der Erweiterung meiner Wahrnehmungsfähigkeit, in der Reflexion, im Dialog – der Schwerpunkt liegt in den Erfahrungen, die ich in der Meditation, im Zugang zu mir, nach innen und zu meinem wahren Selbst mache. Diese Erfahrungen in der Meditation bringe ich in meinen Alltag, immer häufiger und intensiver; ich stelle selbst fest, dass es wirkt, wenn ich anderen aus dieser konstruktiven Geisteshaltung begegne, dass neue Qualitäten der Beziehung entstehen, und irgendwann wird es zur Gewohnheit, meine Gewohnheiten werden zu meinem Charakter und zu meinem Karma. Aber es ist schwer zu beschreiben für andere, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben. Es ist wie das Reden über die Speisekarte – der andere weiß damit noch längst nicht, wie das Essen schmeckt.
Was braucht es im besonderen Maße, um Turnaround-Projekt zu verwirklichen?
Zunächst braucht es Mut, vertraute Pfade zu verlassen, sich und seine Sicht der Welt in Frage zu stellen – und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, und dahin zu gehen, wo das Unvertraute ist. Außerdem braucht es auch den Mut zur Transparenz, das heißt im öffentlichen Raum Dinge zu hinterfragen, offen zu sein und bestehende Vorstellungen, Konzepte und Vorgehensweisen zu reflektieren. Nur die Arbeit im System wird nicht reichen, damit wird nur das Bestehende weiter optimiert. Turnaround bedeutet für mich aber immer eine Umkehr.
Es braucht die Entschlossenheit und den Willen, die Volition, das, was ich als richtig erkannt habe, auch umzusetzen, auch wenn es nicht dem Mainstream entspricht, sondern „unabhängig von allem, dem Weg seines Herzens zu folgen“, wie wir im Daishin Zen sagen. Es braucht die Konsequenz als persönliche Herausforderung, den Weg weiter zu gehen und nicht vorher aufzugeben. Viele große Entdeckungen und bedeutende Entwicklungen der Menschheit waren ein „Trotzdem“, haben herausgefordert, waren Musterbrüche, haben konventionelle Grenzen gesprengt – hinterher sind immer alle schlauer, wie der Volksmund sagt.
Und es braucht Fertigkeiten und Techniken, die mir helfen, wirksam zu sein. Es gibt viele Techniken und auch Tools – das ist nicht der Mangel –, und wir sollten konsequent diejenigen anwenden, die hilfreich sind, die eine Umkehr unterstützen, und die uns helfen, andere noch erfolgreicher zu machen. Wir sind hier als Berater Dienstleister, d. h. wir dienen im Sinne des Wortes: Hier kommt die Demut hinzu.
Welche Methoden und Techniken braucht es im Besonderen?
Ich kann hier eine Antwort aus dem Zen geben: Es gibt keine Methode, es gibt nur Achtsamkeit! Abgesehen von der oben bereits gemachten Aussage ist nicht die Methode oder die Technik das, was den Unterschied macht: Es ist die Haltung und die Einstellung, mit der ich diese anwende. Arsen als Wirkstoff, ein Skalpell – beides kann helfen und beides kann töten; den Unterschied macht der Anwender, seine Gedanken, seine Worte und seine Taten. Wenn ich aber heilsam sein will, und ich kann einem anderen Menschen nur durch eine Operation retten, dann ist es wirksamer, ein Skalpell und kein handelsübliches Küchenmesser zu nehmen (vielleicht von einer extremen Notsituation abgesehen).
Was ist wesentlich für die weitere Entwicklung des (westlichen) Bewusstseins, einer anderen Geisteshaltung?
Die offene Weite! Es soll nicht heißen, das aufzugeben, was wir erreicht haben. Die letzten Jahrzehnte haben wir große Fortschritte gemacht, im technischen, im hygienischen Bereich, in der Medizin – auf dem sollten wir aufbauen. Aber wir müssen lernen, zwischen dem Heilsamen und dem Unheilsamen zu unterscheiden und nur das konsequent weiter verfolgen, was das Heilsame in die Welt bringt. Das bedeutet auch, uns und unsere Perspektiven immer wieder kritisch zu hinterfragen. Alle Definitionen, alle Konzepte, alle Vorstellungen, alle Grenzen sind nur Konvention, sie sind nur die Schatten der Wirklichkeit, sie sind Denkhilfen, und so wie Krücken Gehhilfen sind, sind sie auch nur „Krücken für den Geist“. Wir sollten anfangen, ohne Krücken zu „denken“. Und wenn wir jetzt sagen, das ist ein Paradox: Auch ein Paradox ist immer nur eine Konvention aus einem bestimmten Zustand des Bewusstseins.